Jessica Hamed: Die Masern-Impfpflicht für Kindergartenkinder und Kinder, die im Rahmen der Tagespflege betreut werden, wurde nun vom Obergericht bestätigt. Bei fehlender Impfung, natürlicher Immunität oder bestätigter Kontraindikation liegt ein Betreuungsverbot vor, d.h. H. Diese Kinder werden von der Betreuung ausgeschlossen, was Eltern unter Druck setzt, die voraussichtlich auf eine solche Betreuung angewiesen sind. Zur Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder hat das BVerfG allerdings nicht ausdrücklich entschieden (Rn. 49). Das ist faszinierend, weil hier die Schulpflicht priorisiert wurde, also kein Betreuungsverbot vorliegt, sondern der Verstoß „nur“ mit einer Geldbuße geahndet wird. Das Bundesverfassungsgericht sieht die unterschiedlichen Rechtsfolgen als konsequent an, „vom Gesetzgeber […] er wollte die Impfentscheidung möglichst den Eltern überlassen“ (Rn. 163). Was bedeutet der Vorbehalt der verfassungsrechtlichen Auslegung der Impfpflicht gegen Masern? Das BVerfG ist der Auffassung, dass die Masern-Impfpflicht verfassungskonform ausgelegt werden kann. Diese Vorschrift ist verfassungsrechtlich so zu verstehen, dass, wenn nur Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die auch Impfstoffbestandteile gegen andere Krankheiten als Masern enthalten, die Verpflichtung nach § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG nur dann gilt, wenn die Bestandteile des Impfstoffe sind keine anderen als die gegen Mumps, Röteln oder Windpocken. Das bedeutet, dass ein nur verfügbarer verlängerter Kombinationsimpfstoff die Verpflichtung nicht auslösen würde (Rn. 99). Das Gericht begründete die Auslegung mit der Entstehungsgeschichte der Verordnung, dort sei der bestehende Kombinationsimpfstoff berücksichtigt worden. Sollte nicht jeder, der eine Schule oder einen Kindergarten betritt, wenn er darüber nachdenkt, einen Impfpass haben müssen? Auch hier betont das Gericht das weite Beurteilungsfeld des Gesetzgebers. Die Abwägung ist nicht zwingend, da bei regelmäßigem mehrstündigem Aufenthalt die Ansteckungsmöglichkeit größer ist, so dass ein Verzicht auf das absolute Betretungsverbot gerechtfertigt ist. Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht auch ein weitergehendes Verbot für rechtmäßig halten würde, da es bereits vermieden hat, dem Gesetzgeber bei den Corona-Entscheidungen Grenzen zu setzen (Bundesnotbremse und anlagenbezogene Impfpflicht). Rechtfertigt der Beschluss Maßnahmen zur „Zwangsimpfung gegen Masern gegen den Willen der Eltern“? Das Bundesverfassungsgericht betonte in seiner Entscheidung, dass keine „Impfpflicht“ angeordnet sei und den Eltern „relative Freiheiten“ gelassen würden und die „Freiwilligkeit der elterlichen Impfentscheidung“ nicht widerrufbar sei (Rn. 145). Das ist zwar rechtlich richtig, aber in der Realität können sich nur die wenigsten Eltern eine andere Betreuung leisten, sodass die hier propagierte vermeintliche Freiwilligkeit letztlich eine Farce ist. Das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass „die Wahl der Eltern nicht trivial eingeschränkt ist“ (Rn. 134). Dass andere Formen der Betreuung privat zwischen Familien realitätsfern organisiert werden können, würdigt das Gericht, indem der Gesetzgeber zeigt, dass die freie Gestaltung der Kindererziehung das umfassende Elternrecht nicht vernachlässigt hat (Rn. 148). Bei Schulkindern stellt sich die gleiche Problematik – obwohl davon auszugehen ist, dass das BVerfG auch hier die Verfassungsmäßigkeit bescheinigen wird – Verstöße können sogar zu mehrfachen Sanktionen und Bußgeldern führen. Sie müssen sich die Entscheidung für eine kostenlose Impfung finanziell und psychisch leisten können. Es gibt einen Trend in den Obersten Gerichten, der besagt: Setzt der Schutz der öffentlichen Gesundheit das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit außer Kraft? Bezüglich der hier behaupteten Schutzpflicht beruft sich das BVerfG auf seine Rechtsprechung zur Impfpflicht in Gebäuden (Rn. 107) und zur Bundesnotbremse (Rn. 146). Die beiden Kronenentscheidungen des Obersten Gerichtshofs stellten einen Wendepunkt im Verfassungsrecht dar und läuteten einen Paradigmenwechsel ein. Einerseits hat das Bundesverfassungsgericht die – grundsätzlich bestehende – Schutzpflicht des Staates auf die allgemeine Lebensgefahr ausgedehnt, andererseits setzt es der staatlichen Handlungsfreiheit eigentlich keine Grenzen. Diese Linie setzt sich nun fort und es stellt sich die Frage, inwieweit die individuelle Freiheit noch zugunsten eines vermeintlichen kollektiven Nutzens unterdrückt wird. Die Verfassungsverzerrung zu Beginn der Corona-Krise hat meines Erachtens den Weg für eine solche gesamtgesellschaftliche Entwicklung geebnet. Das Recht auf Leben ist absolut geworden, obwohl die Abwägung dieses Rechts mit anderen legitimen Interessen, wie etwa der körperlichen Unversehrtheit, konstitutiv für einen freien Staat ist. Dieser „Trend“ gefährdet den demokratischen Rechtsstaat. Bereits im März 2020 warnte der berühmte Verfassungsrechtler Uwe Volkmann vor einem „hysterischen Hygienezustand“. Könnte die Entscheidung mit den Urteilen des High Court zur einrichtungsbezogenen Coronavirus-Impfung zusammenhängen? Die Resolution ist gewissermaßen die logische Fortsetzung des oben beschriebenen Paradigmenwechsels. Ich würde eigentlich damit rechnen, dass die Masern-Impfpflicht – wie geplant – vor der Covid-Impfpflicht entschieden wird. In diesem Fall müsste das Gericht Standards für eine Impfpflicht erarbeiten. All das wäre mit den Covid-Impfungen offensichtlich nicht erfüllt worden. Während der Masernimpfstoff das Potenzial hat, die Krankheit auszurotten (Absatz 149), ist dies bei den Covid-Impfstoffen nicht der Fall. Darüber hinaus ist der Masernimpfstoff im Gegensatz zu den Covid-Impfstoffen gut erforscht (Ziffer 13) und es kann eine Herdenimmunität hergestellt werden (Ziffer 125). Auf solche „harten“ Kriterien geht das Gericht jedoch nicht angemessen ein – schon gar nicht in Bezug auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Richter zeigen sich zufrieden, dass der Staat einer selbst auferlegten Verpflichtung zum Schutz gefährdeter Gruppen nachkommen wolle und dem Staat – wie bei allen bestätigten Corona-Maßnahmen – völlig freie Hand lässt. Kann man, gepaart mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, davon ausgehen, dass Impfpflichten künftig leichter entschieden werden können? Mit dieser Rechtsprechung lässt sich nahezu alles anordnen, was einen Menschen vor Krankheit oder Tod schützen und damit indirekt das Gesundheitswesen entlasten soll. Langfristig gibt es einen Trend zur Gesundheitserhaltungspflicht. Grenzen sind nicht definiert und scheinen nicht zu existieren. Das Gericht entschied, dass eine Masern-Impfquote von 95 Prozent erforderlich sei (Abs. 152). Dass die Impfquote bei Kindern bei fast 93 Prozent lag, wurde nicht ausreichend berücksichtigt. Auch die Tatsache, dass Impfungen keinen relevanten Fremdschutz bieten, hat das Gericht im Hinblick auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht berücksichtigt. Sowohl Impfpflicht als auch „Notbremsentscheidungen des Bundes“ signalisieren letztlich: Freifahrt für den zunehmend bevormundenden Staat. Ob Gesundheitsschutz oder Klima- oder Energiekrise, es wird deutlich, dass der Staat machen kann, was er will. Als nächster Schritt in Gesundheitsfragen könnte übrigens nachvollzogen werden, dass bei „abrechnungspflichtigen“ Erkrankungen – ähnlich wie bei den Pflichtverletzungen im Versicherungsrecht – die Solidargemeinschaft nicht mehr in voller Höhe zahlt. Ansätze zum Coronavirus werden immer wieder öffentlich diskutiert und sind natürlich auch bei anderen Erkrankungen möglich. Diese Erwägungen und eigentlichen Strafen (keine Entschädigung für Quarantäne für Ungeimpfte) stehen bisher alle im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten, aber es ist nicht klar, warum Krankheiten durch ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung, Alkohol-/Nikotinkonsum, gefährlicher Lebensstil usw. sie sollten davon ausgenommen werden. Wir sollten uns fragen, ob wir diese Entwicklung wirklich wollen. In einem freien Staat kann es meiner Meinung nach nur eine Antwort geben: im Zweifel für die Freiheit. Jessica Hamed ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht, stellvertretende Direktorin des Instituts Weltanschauungsrecht (ifw) und Lehrbeauftragte an der Hochschule Mainz. Das Interview führte Michael Maier.


title: " Karlsruhe L Sst Dem Staat V Llig Freie Hand Klmat" ShowToc: true date: “2022-11-10” author: “Wilbert Odle”


Jessica Hamed: Die Masern-Impfpflicht für Kindergartenkinder und Kinder, die im Rahmen der Tagespflege betreut werden, wurde nun vom Obergericht bestätigt. Bei fehlender Impfung, natürlicher Immunität oder bestätigter Kontraindikation liegt ein Betreuungsverbot vor, d.h. H. Diese Kinder werden von der Betreuung ausgeschlossen, was Eltern unter Druck setzt, die voraussichtlich auf eine solche Betreuung angewiesen sind. Zur Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder hat das BVerfG allerdings nicht ausdrücklich entschieden (Rn. 49). Das ist faszinierend, weil hier die Schulpflicht priorisiert wurde, also kein Betreuungsverbot vorliegt, sondern der Verstoß „nur“ mit einer Geldbuße geahndet wird. Das Bundesverfassungsgericht sieht die unterschiedlichen Rechtsfolgen als konsequent an, „vom Gesetzgeber […] er wollte die Impfentscheidung möglichst den Eltern überlassen“ (Rn. 163). Was bedeutet der Vorbehalt der verfassungsrechtlichen Auslegung der Impfpflicht gegen Masern? Das BVerfG ist der Auffassung, dass die Masern-Impfpflicht verfassungskonform ausgelegt werden kann. Diese Vorschrift ist verfassungsrechtlich so zu verstehen, dass, wenn nur Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die auch Impfstoffbestandteile gegen andere Krankheiten als Masern enthalten, die Verpflichtung nach § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG nur dann gilt, wenn die Bestandteile des Impfstoffe sind keine anderen als die gegen Mumps, Röteln oder Windpocken. Das bedeutet, dass ein nur verfügbarer verlängerter Kombinationsimpfstoff die Verpflichtung nicht auslösen würde (Rn. 99). Das Gericht begründete die Auslegung mit der Entstehungsgeschichte der Verordnung, dort sei der bestehende Kombinationsimpfstoff berücksichtigt worden. Sollte nicht jeder, der eine Schule oder einen Kindergarten betritt, wenn er darüber nachdenkt, einen Impfpass haben müssen? Auch hier betont das Gericht das weite Beurteilungsfeld des Gesetzgebers. Die Abwägung ist nicht zwingend, da bei regelmäßigem mehrstündigem Aufenthalt die Ansteckungsmöglichkeit größer ist, so dass ein Verzicht auf das absolute Betretungsverbot gerechtfertigt ist. Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht auch ein weitergehendes Verbot für rechtmäßig halten würde, da es bereits vermieden hat, dem Gesetzgeber bei den Corona-Entscheidungen Grenzen zu setzen (Bundesnotbremse und anlagenbezogene Impfpflicht). Rechtfertigt der Beschluss Maßnahmen zur „Zwangsimpfung gegen Masern gegen den Willen der Eltern“? Das Bundesverfassungsgericht betonte in seiner Entscheidung, dass keine „Impfpflicht“ angeordnet sei und den Eltern „relative Freiheiten“ gelassen würden und die „Freiwilligkeit der elterlichen Impfentscheidung“ nicht widerrufbar sei (Rn. 145). Das ist zwar rechtlich richtig, aber in der Realität können sich nur die wenigsten Eltern eine andere Betreuung leisten, sodass die hier propagierte vermeintliche Freiwilligkeit letztlich eine Farce ist. Das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass „die Wahl der Eltern nicht trivial eingeschränkt ist“ (Rn. 134). Dass andere Formen der Betreuung privat zwischen Familien realitätsfern organisiert werden können, würdigt das Gericht, indem der Gesetzgeber zeigt, dass die freie Gestaltung der Kindererziehung das umfassende Elternrecht nicht vernachlässigt hat (Rn. 148). Bei Schulkindern stellt sich die gleiche Problematik – obwohl davon auszugehen ist, dass das BVerfG auch hier die Verfassungsmäßigkeit bescheinigen wird – Verstöße können sogar zu mehrfachen Sanktionen und Bußgeldern führen. Sie müssen sich die Entscheidung für eine kostenlose Impfung finanziell und psychisch leisten können. Es gibt einen Trend in den Obersten Gerichten, der besagt: Setzt der Schutz der öffentlichen Gesundheit das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit außer Kraft? Bezüglich der hier behaupteten Schutzpflicht beruft sich das BVerfG auf seine Rechtsprechung zur Impfpflicht in Gebäuden (Rn. 107) und zur Bundesnotbremse (Rn. 146). Die beiden Kronenentscheidungen des Obersten Gerichtshofs stellten einen Wendepunkt im Verfassungsrecht dar und läuteten einen Paradigmenwechsel ein. Einerseits hat das Bundesverfassungsgericht die – grundsätzlich bestehende – Schutzpflicht des Staates auf die allgemeine Lebensgefahr ausgedehnt, andererseits setzt es der staatlichen Handlungsfreiheit eigentlich keine Grenzen. Diese Linie setzt sich nun fort und es stellt sich die Frage, inwieweit die individuelle Freiheit noch zugunsten eines vermeintlichen kollektiven Nutzens unterdrückt wird. Die Verfassungsverzerrung zu Beginn der Corona-Krise hat meines Erachtens den Weg für eine solche gesamtgesellschaftliche Entwicklung geebnet. Das Recht auf Leben ist absolut geworden, obwohl die Abwägung dieses Rechts mit anderen legitimen Interessen, wie etwa der körperlichen Unversehrtheit, konstitutiv für einen freien Staat ist. Dieser „Trend“ gefährdet den demokratischen Rechtsstaat. Bereits im März 2020 warnte der berühmte Verfassungsrechtler Uwe Volkmann vor einem „hysterischen Hygienezustand“. Könnte die Entscheidung mit den Urteilen des High Court zur einrichtungsbezogenen Coronavirus-Impfung zusammenhängen? Die Resolution ist gewissermaßen die logische Fortsetzung des oben beschriebenen Paradigmenwechsels. Ich würde eigentlich damit rechnen, dass die Masern-Impfpflicht – wie geplant – vor der Covid-Impfpflicht entschieden wird. In diesem Fall müsste das Gericht Standards für eine Impfpflicht erarbeiten. All das wäre mit den Covid-Impfungen offensichtlich nicht erfüllt worden. Während der Masernimpfstoff das Potenzial hat, die Krankheit auszurotten (Absatz 149), ist dies bei den Covid-Impfstoffen nicht der Fall. Darüber hinaus ist der Masernimpfstoff im Gegensatz zu den Covid-Impfstoffen gut erforscht (Ziffer 13) und es kann eine Herdenimmunität hergestellt werden (Ziffer 125). Auf solche „harten“ Kriterien geht das Gericht jedoch nicht angemessen ein – schon gar nicht in Bezug auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Richter zeigen sich zufrieden, dass der Staat einer selbst auferlegten Verpflichtung zum Schutz gefährdeter Gruppen nachkommen wolle und dem Staat – wie bei allen bestätigten Corona-Maßnahmen – völlig freie Hand lässt. Kann man, gepaart mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, davon ausgehen, dass Impfpflichten künftig leichter entschieden werden können? Mit dieser Rechtsprechung lässt sich nahezu alles anordnen, was einen Menschen vor Krankheit oder Tod schützen und damit indirekt das Gesundheitswesen entlasten soll. Langfristig gibt es einen Trend zur Gesundheitserhaltungspflicht. Grenzen sind nicht definiert und scheinen nicht zu existieren. Das Gericht entschied, dass eine Masern-Impfquote von 95 Prozent erforderlich sei (Abs. 152). Dass die Impfquote bei Kindern bei fast 93 Prozent lag, wurde nicht ausreichend berücksichtigt. Auch die Tatsache, dass Impfungen keinen relevanten Fremdschutz bieten, hat das Gericht im Hinblick auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht berücksichtigt. Sowohl Impfpflicht als auch „Notbremsentscheidungen des Bundes“ signalisieren letztlich: Freifahrt für den zunehmend bevormundenden Staat. Ob Gesundheitsschutz oder Klima- oder Energiekrise, es wird deutlich, dass der Staat machen kann, was er will. Als nächster Schritt in Gesundheitsfragen könnte übrigens nachvollzogen werden, dass bei „abrechnungspflichtigen“ Erkrankungen – ähnlich wie bei den Pflichtverletzungen im Versicherungsrecht – die Solidargemeinschaft nicht mehr in voller Höhe zahlt. Ansätze zum Coronavirus werden immer wieder öffentlich diskutiert und sind natürlich auch bei anderen Erkrankungen möglich. Diese Erwägungen und eigentlichen Strafen (keine Entschädigung für Quarantäne für Ungeimpfte) stehen bisher alle im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten, aber es ist nicht klar, warum Krankheiten durch ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung, Alkohol-/Nikotinkonsum, gefährlicher Lebensstil usw. sie sollten davon ausgenommen werden. Wir sollten uns fragen, ob wir diese Entwicklung wirklich wollen. In einem freien Staat kann es meiner Meinung nach nur eine Antwort geben: im Zweifel für die Freiheit. Jessica Hamed ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht, stellvertretende Direktorin des Instituts Weltanschauungsrecht (ifw) und Lehrbeauftragte an der Hochschule Mainz. Das Interview führte Michael Maier.


title: " Karlsruhe L Sst Dem Staat V Llig Freie Hand Klmat" ShowToc: true date: “2022-12-06” author: “Manuel Weber”


Jessica Hamed: Die Masern-Impfpflicht für Kindergartenkinder und Kinder, die im Rahmen der Tagespflege betreut werden, wurde nun vom Obergericht bestätigt. Bei fehlender Impfung, natürlicher Immunität oder bestätigter Kontraindikation liegt ein Betreuungsverbot vor, d.h. H. Diese Kinder werden von der Betreuung ausgeschlossen, was Eltern unter Druck setzt, die voraussichtlich auf eine solche Betreuung angewiesen sind. Zur Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder hat das BVerfG allerdings nicht ausdrücklich entschieden (Rn. 49). Das ist faszinierend, weil hier die Schulpflicht priorisiert wurde, also kein Betreuungsverbot vorliegt, sondern der Verstoß „nur“ mit einer Geldbuße geahndet wird. Das Bundesverfassungsgericht sieht die unterschiedlichen Rechtsfolgen als konsequent an, „vom Gesetzgeber […] er wollte die Impfentscheidung möglichst den Eltern überlassen“ (Rn. 163). Was bedeutet der Vorbehalt der verfassungsrechtlichen Auslegung der Impfpflicht gegen Masern? Das BVerfG ist der Auffassung, dass die Masern-Impfpflicht verfassungskonform ausgelegt werden kann. Diese Vorschrift ist verfassungsrechtlich so zu verstehen, dass, wenn nur Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die auch Impfstoffbestandteile gegen andere Krankheiten als Masern enthalten, die Verpflichtung nach § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG nur dann gilt, wenn die Bestandteile des Impfstoffe sind keine anderen als die gegen Mumps, Röteln oder Windpocken. Das bedeutet, dass ein nur verfügbarer verlängerter Kombinationsimpfstoff die Verpflichtung nicht auslösen würde (Rn. 99). Das Gericht begründete die Auslegung mit der Entstehungsgeschichte der Verordnung, dort sei der bestehende Kombinationsimpfstoff berücksichtigt worden. Sollte nicht jeder, der eine Schule oder einen Kindergarten betritt, wenn er darüber nachdenkt, einen Impfpass haben müssen? Auch hier betont das Gericht das weite Beurteilungsfeld des Gesetzgebers. Die Abwägung ist nicht zwingend, da bei regelmäßigem mehrstündigem Aufenthalt die Ansteckungsmöglichkeit größer ist, so dass ein Verzicht auf das absolute Betretungsverbot gerechtfertigt ist. Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht auch ein weitergehendes Verbot für rechtmäßig halten würde, da es bereits vermieden hat, dem Gesetzgeber bei den Corona-Entscheidungen Grenzen zu setzen (Bundesnotbremse und anlagenbezogene Impfpflicht). Rechtfertigt der Beschluss Maßnahmen zur „Zwangsimpfung gegen Masern gegen den Willen der Eltern“? Das Bundesverfassungsgericht betonte in seiner Entscheidung, dass keine „Impfpflicht“ angeordnet sei und den Eltern „relative Freiheiten“ gelassen würden und die „Freiwilligkeit der elterlichen Impfentscheidung“ nicht widerrufbar sei (Rn. 145). Das ist zwar rechtlich richtig, aber in der Realität können sich nur die wenigsten Eltern eine andere Betreuung leisten, sodass die hier propagierte vermeintliche Freiwilligkeit letztlich eine Farce ist. Das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass „die Wahl der Eltern nicht trivial eingeschränkt ist“ (Rn. 134). Dass andere Formen der Betreuung privat zwischen Familien realitätsfern organisiert werden können, würdigt das Gericht, indem der Gesetzgeber zeigt, dass die freie Gestaltung der Kindererziehung das umfassende Elternrecht nicht vernachlässigt hat (Rn. 148). Bei Schulkindern stellt sich die gleiche Problematik – obwohl davon auszugehen ist, dass das BVerfG auch hier die Verfassungsmäßigkeit bescheinigen wird – Verstöße können sogar zu mehrfachen Sanktionen und Bußgeldern führen. Sie müssen sich die Entscheidung für eine kostenlose Impfung finanziell und psychisch leisten können. Es gibt einen Trend in den Obersten Gerichten, der besagt: Setzt der Schutz der öffentlichen Gesundheit das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit außer Kraft? Bezüglich der hier behaupteten Schutzpflicht beruft sich das BVerfG auf seine Rechtsprechung zur Impfpflicht in Gebäuden (Rn. 107) und zur Bundesnotbremse (Rn. 146). Die beiden Kronenentscheidungen des Obersten Gerichtshofs stellten einen Wendepunkt im Verfassungsrecht dar und läuteten einen Paradigmenwechsel ein. Einerseits hat das Bundesverfassungsgericht die – grundsätzlich bestehende – Schutzpflicht des Staates auf die allgemeine Lebensgefahr ausgedehnt, andererseits setzt es der staatlichen Handlungsfreiheit eigentlich keine Grenzen. Diese Linie setzt sich nun fort und es stellt sich die Frage, inwieweit die individuelle Freiheit noch zugunsten eines vermeintlichen kollektiven Nutzens unterdrückt wird. Die Verfassungsverzerrung zu Beginn der Corona-Krise hat meines Erachtens den Weg für eine solche gesamtgesellschaftliche Entwicklung geebnet. Das Recht auf Leben ist absolut geworden, obwohl die Abwägung dieses Rechts mit anderen legitimen Interessen, wie etwa der körperlichen Unversehrtheit, konstitutiv für einen freien Staat ist. Dieser „Trend“ gefährdet den demokratischen Rechtsstaat. Bereits im März 2020 warnte der berühmte Verfassungsrechtler Uwe Volkmann vor einem „hysterischen Hygienezustand“. Könnte die Entscheidung mit den Urteilen des High Court zur einrichtungsbezogenen Coronavirus-Impfung zusammenhängen? Die Resolution ist gewissermaßen die logische Fortsetzung des oben beschriebenen Paradigmenwechsels. Ich würde eigentlich damit rechnen, dass die Masern-Impfpflicht – wie geplant – vor der Covid-Impfpflicht entschieden wird. In diesem Fall müsste das Gericht Standards für eine Impfpflicht erarbeiten. All das wäre mit den Covid-Impfungen offensichtlich nicht erfüllt worden. Während der Masernimpfstoff das Potenzial hat, die Krankheit auszurotten (Absatz 149), ist dies bei den Covid-Impfstoffen nicht der Fall. Darüber hinaus ist der Masernimpfstoff im Gegensatz zu den Covid-Impfstoffen gut erforscht (Ziffer 13) und es kann eine Herdenimmunität hergestellt werden (Ziffer 125). Auf solche „harten“ Kriterien geht das Gericht jedoch nicht angemessen ein – schon gar nicht in Bezug auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Richter zeigen sich zufrieden, dass der Staat einer selbst auferlegten Verpflichtung zum Schutz gefährdeter Gruppen nachkommen wolle und dem Staat – wie bei allen bestätigten Corona-Maßnahmen – völlig freie Hand lässt. Kann man, gepaart mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, davon ausgehen, dass Impfpflichten künftig leichter entschieden werden können? Mit dieser Rechtsprechung lässt sich nahezu alles anordnen, was einen Menschen vor Krankheit oder Tod schützen und damit indirekt das Gesundheitswesen entlasten soll. Langfristig gibt es einen Trend zur Gesundheitserhaltungspflicht. Grenzen sind nicht definiert und scheinen nicht zu existieren. Das Gericht entschied, dass eine Masern-Impfquote von 95 Prozent erforderlich sei (Abs. 152). Dass die Impfquote bei Kindern bei fast 93 Prozent lag, wurde nicht ausreichend berücksichtigt. Auch die Tatsache, dass Impfungen keinen relevanten Fremdschutz bieten, hat das Gericht im Hinblick auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht berücksichtigt. Sowohl Impfpflicht als auch „Notbremsentscheidungen des Bundes“ signalisieren letztlich: Freifahrt für den zunehmend bevormundenden Staat. Ob Gesundheitsschutz oder Klima- oder Energiekrise, es wird deutlich, dass der Staat machen kann, was er will. Als nächster Schritt in Gesundheitsfragen könnte übrigens nachvollzogen werden, dass bei „abrechnungspflichtigen“ Erkrankungen – ähnlich wie bei den Pflichtverletzungen im Versicherungsrecht – die Solidargemeinschaft nicht mehr in voller Höhe zahlt. Ansätze zum Coronavirus werden immer wieder öffentlich diskutiert und sind natürlich auch bei anderen Erkrankungen möglich. Diese Erwägungen und eigentlichen Strafen (keine Entschädigung für Quarantäne für Ungeimpfte) stehen bisher alle im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten, aber es ist nicht klar, warum Krankheiten durch ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung, Alkohol-/Nikotinkonsum, gefährlicher Lebensstil usw. sie sollten davon ausgenommen werden. Wir sollten uns fragen, ob wir diese Entwicklung wirklich wollen. In einem freien Staat kann es meiner Meinung nach nur eine Antwort geben: im Zweifel für die Freiheit. Jessica Hamed ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht, stellvertretende Direktorin des Instituts Weltanschauungsrecht (ifw) und Lehrbeauftragte an der Hochschule Mainz. Das Interview führte Michael Maier.


title: " Karlsruhe L Sst Dem Staat V Llig Freie Hand Klmat" ShowToc: true date: “2022-11-16” author: “Aaron Phillips”


Jessica Hamed: Die Masern-Impfpflicht für Kindergartenkinder und Kinder, die im Rahmen der Tagespflege betreut werden, wurde nun vom Obergericht bestätigt. Bei fehlender Impfung, natürlicher Immunität oder bestätigter Kontraindikation liegt ein Betreuungsverbot vor, d.h. H. Diese Kinder werden von der Betreuung ausgeschlossen, was Eltern unter Druck setzt, die voraussichtlich auf eine solche Betreuung angewiesen sind. Zur Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder hat das BVerfG allerdings nicht ausdrücklich entschieden (Rn. 49). Das ist faszinierend, weil hier die Schulpflicht priorisiert wurde, also kein Betreuungsverbot vorliegt, sondern der Verstoß „nur“ mit einer Geldbuße geahndet wird. Das Bundesverfassungsgericht sieht die unterschiedlichen Rechtsfolgen als konsequent an, „vom Gesetzgeber […] er wollte die Impfentscheidung möglichst den Eltern überlassen“ (Rn. 163). Was bedeutet der Vorbehalt der verfassungsrechtlichen Auslegung der Impfpflicht gegen Masern? Das BVerfG ist der Auffassung, dass die Masern-Impfpflicht verfassungskonform ausgelegt werden kann. Diese Vorschrift ist verfassungsrechtlich so zu verstehen, dass, wenn nur Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die auch Impfstoffbestandteile gegen andere Krankheiten als Masern enthalten, die Verpflichtung nach § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG nur dann gilt, wenn die Bestandteile des Impfstoffe sind keine anderen als die gegen Mumps, Röteln oder Windpocken. Das bedeutet, dass ein nur verfügbarer verlängerter Kombinationsimpfstoff die Verpflichtung nicht auslösen würde (Rn. 99). Das Gericht begründete die Auslegung mit der Entstehungsgeschichte der Verordnung, dort sei der bestehende Kombinationsimpfstoff berücksichtigt worden. Sollte nicht jeder, der eine Schule oder einen Kindergarten betritt, wenn er darüber nachdenkt, einen Impfpass haben müssen? Auch hier betont das Gericht das weite Beurteilungsfeld des Gesetzgebers. Die Abwägung ist nicht zwingend, da bei regelmäßigem mehrstündigem Aufenthalt die Ansteckungsmöglichkeit größer ist, so dass ein Verzicht auf das absolute Betretungsverbot gerechtfertigt ist. Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht auch ein weitergehendes Verbot für rechtmäßig halten würde, da es bereits vermieden hat, dem Gesetzgeber bei den Corona-Entscheidungen Grenzen zu setzen (Bundesnotbremse und anlagenbezogene Impfpflicht). Rechtfertigt der Beschluss Maßnahmen zur „Zwangsimpfung gegen Masern gegen den Willen der Eltern“? Das Bundesverfassungsgericht betonte in seiner Entscheidung, dass keine „Impfpflicht“ angeordnet sei und den Eltern „relative Freiheiten“ gelassen würden und die „Freiwilligkeit der elterlichen Impfentscheidung“ nicht widerrufbar sei (Rn. 145). Das ist zwar rechtlich richtig, aber in der Realität können sich nur die wenigsten Eltern eine andere Betreuung leisten, sodass die hier propagierte vermeintliche Freiwilligkeit letztlich eine Farce ist. Das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass „die Wahl der Eltern nicht trivial eingeschränkt ist“ (Rn. 134). Dass andere Formen der Betreuung privat zwischen Familien realitätsfern organisiert werden können, würdigt das Gericht, indem der Gesetzgeber zeigt, dass die freie Gestaltung der Kindererziehung das umfassende Elternrecht nicht vernachlässigt hat (Rn. 148). Bei Schulkindern stellt sich die gleiche Problematik – obwohl davon auszugehen ist, dass das BVerfG auch hier die Verfassungsmäßigkeit bescheinigen wird – Verstöße können sogar zu mehrfachen Sanktionen und Bußgeldern führen. Sie müssen sich die Entscheidung für eine kostenlose Impfung finanziell und psychisch leisten können. Es gibt einen Trend in den Obersten Gerichten, der besagt: Setzt der Schutz der öffentlichen Gesundheit das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit außer Kraft? Bezüglich der hier behaupteten Schutzpflicht beruft sich das BVerfG auf seine Rechtsprechung zur Impfpflicht in Gebäuden (Rn. 107) und zur Bundesnotbremse (Rn. 146). Die beiden Kronenentscheidungen des Obersten Gerichtshofs stellten einen Wendepunkt im Verfassungsrecht dar und läuteten einen Paradigmenwechsel ein. Einerseits hat das Bundesverfassungsgericht die – grundsätzlich bestehende – Schutzpflicht des Staates auf die allgemeine Lebensgefahr ausgedehnt, andererseits setzt es der staatlichen Handlungsfreiheit eigentlich keine Grenzen. Diese Linie setzt sich nun fort und es stellt sich die Frage, inwieweit die individuelle Freiheit noch zugunsten eines vermeintlichen kollektiven Nutzens unterdrückt wird. Die Verfassungsverzerrung zu Beginn der Corona-Krise hat meines Erachtens den Weg für eine solche gesamtgesellschaftliche Entwicklung geebnet. Das Recht auf Leben ist absolut geworden, obwohl die Abwägung dieses Rechts mit anderen legitimen Interessen, wie etwa der körperlichen Unversehrtheit, konstitutiv für einen freien Staat ist. Dieser „Trend“ gefährdet den demokratischen Rechtsstaat. Bereits im März 2020 warnte der berühmte Verfassungsrechtler Uwe Volkmann vor einem „hysterischen Hygienezustand“. Könnte die Entscheidung mit den Urteilen des High Court zur einrichtungsbezogenen Coronavirus-Impfung zusammenhängen? Die Resolution ist gewissermaßen die logische Fortsetzung des oben beschriebenen Paradigmenwechsels. Ich würde eigentlich damit rechnen, dass die Masern-Impfpflicht – wie geplant – vor der Covid-Impfpflicht entschieden wird. In diesem Fall müsste das Gericht Standards für eine Impfpflicht erarbeiten. All das wäre mit den Covid-Impfungen offensichtlich nicht erfüllt worden. Während der Masernimpfstoff das Potenzial hat, die Krankheit auszurotten (Absatz 149), ist dies bei den Covid-Impfstoffen nicht der Fall. Darüber hinaus ist der Masernimpfstoff im Gegensatz zu den Covid-Impfstoffen gut erforscht (Ziffer 13) und es kann eine Herdenimmunität hergestellt werden (Ziffer 125). Auf solche „harten“ Kriterien geht das Gericht jedoch nicht angemessen ein – schon gar nicht in Bezug auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Richter zeigen sich zufrieden, dass der Staat einer selbst auferlegten Verpflichtung zum Schutz gefährdeter Gruppen nachkommen wolle und dem Staat – wie bei allen bestätigten Corona-Maßnahmen – völlig freie Hand lässt. Kann man, gepaart mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, davon ausgehen, dass Impfpflichten künftig leichter entschieden werden können? Mit dieser Rechtsprechung lässt sich nahezu alles anordnen, was einen Menschen vor Krankheit oder Tod schützen und damit indirekt das Gesundheitswesen entlasten soll. Langfristig gibt es einen Trend zur Gesundheitserhaltungspflicht. Grenzen sind nicht definiert und scheinen nicht zu existieren. Das Gericht entschied, dass eine Masern-Impfquote von 95 Prozent erforderlich sei (Abs. 152). Dass die Impfquote bei Kindern bei fast 93 Prozent lag, wurde nicht ausreichend berücksichtigt. Auch die Tatsache, dass Impfungen keinen relevanten Fremdschutz bieten, hat das Gericht im Hinblick auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht berücksichtigt. Sowohl Impfpflicht als auch „Notbremsentscheidungen des Bundes“ signalisieren letztlich: Freifahrt für den zunehmend bevormundenden Staat. Ob Gesundheitsschutz oder Klima- oder Energiekrise, es wird deutlich, dass der Staat machen kann, was er will. Als nächster Schritt in Gesundheitsfragen könnte übrigens nachvollzogen werden, dass bei „abrechnungspflichtigen“ Erkrankungen – ähnlich wie bei den Pflichtverletzungen im Versicherungsrecht – die Solidargemeinschaft nicht mehr in voller Höhe zahlt. Ansätze zum Coronavirus werden immer wieder öffentlich diskutiert und sind natürlich auch bei anderen Erkrankungen möglich. Diese Erwägungen und eigentlichen Strafen (keine Entschädigung für Quarantäne für Ungeimpfte) stehen bisher alle im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten, aber es ist nicht klar, warum Krankheiten durch ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung, Alkohol-/Nikotinkonsum, gefährlicher Lebensstil usw. sie sollten davon ausgenommen werden. Wir sollten uns fragen, ob wir diese Entwicklung wirklich wollen. In einem freien Staat kann es meiner Meinung nach nur eine Antwort geben: im Zweifel für die Freiheit. Jessica Hamed ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht, stellvertretende Direktorin des Instituts Weltanschauungsrecht (ifw) und Lehrbeauftragte an der Hochschule Mainz. Das Interview führte Michael Maier.


title: " Karlsruhe L Sst Dem Staat V Llig Freie Hand Klmat" ShowToc: true date: “2022-11-24” author: “James Ward”


Jessica Hamed: Die Masern-Impfpflicht für Kindergartenkinder und Kinder, die im Rahmen der Tagespflege betreut werden, wurde nun vom Obergericht bestätigt. Bei fehlender Impfung, natürlicher Immunität oder bestätigter Kontraindikation liegt ein Betreuungsverbot vor, d.h. H. Diese Kinder werden von der Betreuung ausgeschlossen, was Eltern unter Druck setzt, die voraussichtlich auf eine solche Betreuung angewiesen sind. Zur Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder hat das BVerfG allerdings nicht ausdrücklich entschieden (Rn. 49). Das ist faszinierend, weil hier die Schulpflicht priorisiert wurde, also kein Betreuungsverbot vorliegt, sondern der Verstoß „nur“ mit einer Geldbuße geahndet wird. Das Bundesverfassungsgericht sieht die unterschiedlichen Rechtsfolgen als konsequent an, „vom Gesetzgeber […] er wollte die Impfentscheidung möglichst den Eltern überlassen“ (Rn. 163). Was bedeutet der Vorbehalt der verfassungsrechtlichen Auslegung der Impfpflicht gegen Masern? Das BVerfG ist der Auffassung, dass die Masern-Impfpflicht verfassungskonform ausgelegt werden kann. Diese Vorschrift ist verfassungsrechtlich so zu verstehen, dass, wenn nur Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die auch Impfstoffbestandteile gegen andere Krankheiten als Masern enthalten, die Verpflichtung nach § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG nur dann gilt, wenn die Bestandteile des Impfstoffe sind keine anderen als die gegen Mumps, Röteln oder Windpocken. Das bedeutet, dass ein nur verfügbarer verlängerter Kombinationsimpfstoff die Verpflichtung nicht auslösen würde (Rn. 99). Das Gericht begründete die Auslegung mit der Entstehungsgeschichte der Verordnung, dort sei der bestehende Kombinationsimpfstoff berücksichtigt worden. Sollte nicht jeder, der eine Schule oder einen Kindergarten betritt, wenn er darüber nachdenkt, einen Impfpass haben müssen? Auch hier betont das Gericht das weite Beurteilungsfeld des Gesetzgebers. Die Abwägung ist nicht zwingend, da bei regelmäßigem mehrstündigem Aufenthalt die Ansteckungsmöglichkeit größer ist, so dass ein Verzicht auf das absolute Betretungsverbot gerechtfertigt ist. Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht auch ein weitergehendes Verbot für rechtmäßig halten würde, da es bereits vermieden hat, dem Gesetzgeber bei den Corona-Entscheidungen Grenzen zu setzen (Bundesnotbremse und anlagenbezogene Impfpflicht). Rechtfertigt der Beschluss Maßnahmen zur „Zwangsimpfung gegen Masern gegen den Willen der Eltern“? Das Bundesverfassungsgericht betonte in seiner Entscheidung, dass keine „Impfpflicht“ angeordnet sei und den Eltern „relative Freiheiten“ gelassen würden und die „Freiwilligkeit der elterlichen Impfentscheidung“ nicht widerrufbar sei (Rn. 145). Das ist zwar rechtlich richtig, aber in der Realität können sich nur die wenigsten Eltern eine andere Betreuung leisten, sodass die hier propagierte vermeintliche Freiwilligkeit letztlich eine Farce ist. Das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass „die Wahl der Eltern nicht trivial eingeschränkt ist“ (Rn. 134). Dass andere Formen der Betreuung privat zwischen Familien realitätsfern organisiert werden können, würdigt das Gericht, indem der Gesetzgeber zeigt, dass die freie Gestaltung der Kindererziehung das umfassende Elternrecht nicht vernachlässigt hat (Rn. 148). Bei Schulkindern stellt sich die gleiche Problematik – obwohl davon auszugehen ist, dass das BVerfG auch hier die Verfassungsmäßigkeit bescheinigen wird – Verstöße können sogar zu mehrfachen Sanktionen und Bußgeldern führen. Sie müssen sich die Entscheidung für eine kostenlose Impfung finanziell und psychisch leisten können. Es gibt einen Trend in den Obersten Gerichten, der besagt: Setzt der Schutz der öffentlichen Gesundheit das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit außer Kraft? Bezüglich der hier behaupteten Schutzpflicht beruft sich das BVerfG auf seine Rechtsprechung zur Impfpflicht in Gebäuden (Rn. 107) und zur Bundesnotbremse (Rn. 146). Die beiden Kronenentscheidungen des Obersten Gerichtshofs stellten einen Wendepunkt im Verfassungsrecht dar und läuteten einen Paradigmenwechsel ein. Einerseits hat das Bundesverfassungsgericht die – grundsätzlich bestehende – Schutzpflicht des Staates auf die allgemeine Lebensgefahr ausgedehnt, andererseits setzt es der staatlichen Handlungsfreiheit eigentlich keine Grenzen. Diese Linie setzt sich nun fort und es stellt sich die Frage, inwieweit die individuelle Freiheit noch zugunsten eines vermeintlichen kollektiven Nutzens unterdrückt wird. Die Verfassungsverzerrung zu Beginn der Corona-Krise hat meines Erachtens den Weg für eine solche gesamtgesellschaftliche Entwicklung geebnet. Das Recht auf Leben ist absolut geworden, obwohl die Abwägung dieses Rechts mit anderen legitimen Interessen, wie etwa der körperlichen Unversehrtheit, konstitutiv für einen freien Staat ist. Dieser „Trend“ gefährdet den demokratischen Rechtsstaat. Bereits im März 2020 warnte der berühmte Verfassungsrechtler Uwe Volkmann vor einem „hysterischen Hygienezustand“. Könnte die Entscheidung mit den Urteilen des High Court zur einrichtungsbezogenen Coronavirus-Impfung zusammenhängen? Die Resolution ist gewissermaßen die logische Fortsetzung des oben beschriebenen Paradigmenwechsels. Ich würde eigentlich damit rechnen, dass die Masern-Impfpflicht – wie geplant – vor der Covid-Impfpflicht entschieden wird. In diesem Fall müsste das Gericht Standards für eine Impfpflicht erarbeiten. All das wäre mit den Covid-Impfungen offensichtlich nicht erfüllt worden. Während der Masernimpfstoff das Potenzial hat, die Krankheit auszurotten (Absatz 149), ist dies bei den Covid-Impfstoffen nicht der Fall. Darüber hinaus ist der Masernimpfstoff im Gegensatz zu den Covid-Impfstoffen gut erforscht (Ziffer 13) und es kann eine Herdenimmunität hergestellt werden (Ziffer 125). Auf solche „harten“ Kriterien geht das Gericht jedoch nicht angemessen ein – schon gar nicht in Bezug auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Richter zeigen sich zufrieden, dass der Staat einer selbst auferlegten Verpflichtung zum Schutz gefährdeter Gruppen nachkommen wolle und dem Staat – wie bei allen bestätigten Corona-Maßnahmen – völlig freie Hand lässt. Kann man, gepaart mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, davon ausgehen, dass Impfpflichten künftig leichter entschieden werden können? Mit dieser Rechtsprechung lässt sich nahezu alles anordnen, was einen Menschen vor Krankheit oder Tod schützen und damit indirekt das Gesundheitswesen entlasten soll. Langfristig gibt es einen Trend zur Gesundheitserhaltungspflicht. Grenzen sind nicht definiert und scheinen nicht zu existieren. Das Gericht entschied, dass eine Masern-Impfquote von 95 Prozent erforderlich sei (Abs. 152). Dass die Impfquote bei Kindern bei fast 93 Prozent lag, wurde nicht ausreichend berücksichtigt. Auch die Tatsache, dass Impfungen keinen relevanten Fremdschutz bieten, hat das Gericht im Hinblick auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht berücksichtigt. Sowohl Impfpflicht als auch „Notbremsentscheidungen des Bundes“ signalisieren letztlich: Freifahrt für den zunehmend bevormundenden Staat. Ob Gesundheitsschutz oder Klima- oder Energiekrise, es wird deutlich, dass der Staat machen kann, was er will. Als nächster Schritt in Gesundheitsfragen könnte übrigens nachvollzogen werden, dass bei „abrechnungspflichtigen“ Erkrankungen – ähnlich wie bei den Pflichtverletzungen im Versicherungsrecht – die Solidargemeinschaft nicht mehr in voller Höhe zahlt. Ansätze zum Coronavirus werden immer wieder öffentlich diskutiert und sind natürlich auch bei anderen Erkrankungen möglich. Diese Erwägungen und eigentlichen Strafen (keine Entschädigung für Quarantäne für Ungeimpfte) stehen bisher alle im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten, aber es ist nicht klar, warum Krankheiten durch ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung, Alkohol-/Nikotinkonsum, gefährlicher Lebensstil usw. sie sollten davon ausgenommen werden. Wir sollten uns fragen, ob wir diese Entwicklung wirklich wollen. In einem freien Staat kann es meiner Meinung nach nur eine Antwort geben: im Zweifel für die Freiheit. Jessica Hamed ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht, stellvertretende Direktorin des Instituts Weltanschauungsrecht (ifw) und Lehrbeauftragte an der Hochschule Mainz. Das Interview führte Michael Maier.